Stefan Heym - Sein Leben und Wirken
Jugend
Stefan Heym wurde mit dem Namen Helmut Flieg als Sohn einer jüdischen Chemnitzer Kaufmannsfamilie geboren. Sein Vater war der Kaufmann Daniel Flieg (1880–1935) und seine Mutter Elsa (geb. Primo; 1892–1968). Er engagierte sich früh als Antifaschist und wurde 1931 auf Druck der örtlichen Nationalsozialisten wegen seines antimilitaristischen Gedichts Exportgeschäft,[1] das am 7. September 1931 in der sozialdemokratischen Tageszeitung Volksstimme erschienen war, vom Gymnasium seiner Heimatstadt verwiesen. Er legte seine Reifeprüfung am Heinrich-Schliemann-Gymnasium in Berlin unter dem damaligen Direktor Paul Hildebrandt ab und begann dort ein Studium der Journalistik. Nach dem Reichstagsbrand 1933 floh er in die Tschechoslowakei, wo er den Namen Stefan Heym annahm.
Im Jahr 1935 ging er mit dem Stipendium einer jüdischen Studentenverbindung in die USA, wo er sein Studium an der Universität von Chicago fortsetzte, das er 1936 mit einer Magisterarbeit über Heinrich Heines Atta Troll abschloss. Von 1937 bis 1939 war er in New York Chefredakteur der deutschsprachigen Wochenzeitung Deutsches Volksecho, die der Kommunistischen Partei der USA nahestand. Nachdem die Zeitung im November 1939 ihr Erscheinen eingestellt hatte, arbeitete Heym als freier Schriftsteller in englischer Sprache. Bereits sein erster Roman Hostages, der im Jahr 1942 veröffentlicht wurde, war ein großer Erfolg.
Amerikanischer Staatsbürger
Ab 1943 nahm Heym, nunmehr amerikanischer Staatsbürger, am Zweiten Weltkrieg teil. Als Mitglied der Ritchie Boys, einer Einheit für Psychologische Kriegführung unter dem Kommando des Emigranten Hans Habe, folgte er 1944 der alliierten Invasion in der Normandie. Seine Aufgabe bestand vorwiegend im Verfassen von Texten, die per Flugblatt, Heeresgruppenzeitung, durch Lautsprecherübertragungen und Rundfunksendungen die Soldaten der Wehrmacht beeinflussen sollten.[2] Nach Kriegsende leitete Heym die Ruhr Zeitung in Essen und war anschließend in München Redakteur der Neuen Zeitung, einer der wichtigsten Zeitungen der amerikanischen Besatzungsmacht. Wegen seiner prosowjetischen Einstellung wurde Heym Ende 1945 in die USA zurückversetzt. Heym verließ die Armee und arbeitete in den folgenden Jahren erneut als freier Schriftsteller. Ende 1948 veröffentlichte er in Boston seinen Roman The Crusaders (dt. Die Kreuzfahrer), den Heinrich Eduard Jacob am 24. Dezember 1948 wohlwollend für den New Yorker Aufbau rezensierte, sich allerdings darüber mokierte, dass Heym in seiner Beschreibung nicht weit genug gegangen sei, indem er „nur sein, von den Befreiern, ach, so ‚belästigtes‘ Paris und ‚seinen‘ Ausschnitt von der Riesenfront“ sah. Jacob sah darin die Möglichkeit eines „Missverständnisses“, indem er bemerkte, dass Heym dies im Sinne einer „Nutzanwendung, die heute [1948] schon von seinem glänzend geschriebenen, vielgelesenen und vielgefeierten Buch im nicht-neutralen Ausland gemacht wird, […] stutzig machen und ihm zeigen [sollte], wie schnell man missverstanden werden kann.“ Das wollte Heym nicht akzeptieren und beschwerte sich als Emigrant über einen Emigranten (Jacob) bei einem weiteren Emigranten, dem Chefredakteur des Aufbau, Manfred George.
Heym verließ zeitgleich mit Charlie Chaplin, Bertolt Brecht und Thomas Mann, die als linke Intellektuelle und Künstler in der McCarthy-Ära zum Auswandern veranlasst wurden, 1952 die USA. Er zog zunächst nach Prag, von wo er 1953 in die DDR übersiedelte.
In der DDR
In der DDR wurde Heym anfangs als heimgekehrter antifaschistischer Emigrant privilegiert behandelt. Er arbeitete als freier Schriftsteller und daneben publizistisch für Zeitungen und Zeitschriften. Seinen Protest gegen die amerikanische Kriegführung im Koreakrieg verdeutlichte Heym 1953 durch ein öffentliches Schreiben an Präsident Eisenhower, verbunden mit dem Verzicht auf sein Offizierspatent und die Rückgabe der ihm 1945 verliehenen Militärauszeichnung Bronze Star. Von 1953 bis 1956 schrieb er, gemeinsam mit dem Pfarrer Karl Kleinschmidt, die Kolumne Offen gesagt[4] für die Berliner Zeitung. In den ersten Jahren seines DDR-Aufenthalts war der überzeugte Sozialist Heym durchaus bereit, das DDR-Regime mit seinen dezidiert sozialistischen Romanen und Erzählungen zu unterstützen. Heyms Werke, die er nach wie vor in englischer Sprache verfasste, erschienen im List-Verlag. Seven Seas Publishers war eine Reihe im Verlag Volk und Welt, in der englische Literatur von englischen und amerikanischen Schriftstellern, aber nicht von Stefan Heym erschien. Die Reihe wurde herausgegeben von Gertrude Heym, Stefan Heyms Ehefrau, und erreichte in deutscher Übersetzung hohe Auflagen. Stefan Heym wurde 1959 mit dem Nationalpreis der DDR für Kunst und Literatur ausgezeichnet.
Europäische Schriftstellerkonferenz „Haagse Treffen“ in Scheveningen, Niederlande 1982; Stefan Heym zusammen mit Günter Grass
Zu Konflikten mit der Staatsführung der DDR kam es bereits ab 1956, als diese trotz Entstalinisierung die Veröffentlichung von Der Tag X (späterer Titel Fünf Tage im Juni), Heyms Buch über den Aufstand vom 17. Juni 1953, ablehnte. Die Spannungen verschärften sich ab 1965, als Erich Honecker Heym während des 11. Plenums der SED heftig angriff. Im gleichen Jahr wurde Heym ein Veröffentlichungsverbot auferlegt. 1969 wurde Heym wegen der unerlaubt in der Bundesrepublik Deutschland erfolgten Veröffentlichung von Lassalle zu einer Geldstrafe verurteilt. Ab Anfang der 1970er Jahre erschienen Heyms Bücher, wenn auch in kleineren Auflagen, wieder in der DDR. Seine Werke verfasste er nun nur noch in deutscher Sprache. Im Jahr 1971 heiratete Stefan Heym die Szenaristin und Drehbuchautorin Inge Wüste (geborene Holm), die für ihn zu einer wichtigen literarischen Wegbegleiterin als Lektorin und später Herausgeberin einiger Werke wurde.
Hintergrund der kulturpolitischen Entspannung, die Heym ab 1971 wieder mit landeseigenen Verlagen zusammenarbeiten ließ, war offensichtlich eine Rede von Erich Honecker. Gut ein halbes Jahr, nachdem er im Mai 1971 an die Regierung gekommen war, kündigte Honecker in einer Rede indirekt Lockerungen des starren dogmatischen Literaturkonzepts des sozialistischen Realismus an. Die Ansprache vor hohen SED-Funktionären des Zentralkomitees wurde unter dem Schlagwort „Keine Tabus“ bekannt.[5] Jedoch erschienen Erstveröffentlichungen Heyms von 1974 bis in die Endphase der DDR nur noch in westlichen Verlagen. Im Jahr 1978 reiste Heym für einige Vorträge in die USA.
Stefan Heym am 4. November 1989 nach der Alexanderplatz-Demonstration auf dem Alexanderplatz
1976 gehörte Heym zu den Unterzeichnern der Petition, mit der DDR-Autoren gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierten. 1979 wurde er ein zweites Mal wegen unerlaubter Veröffentlichung in der Bundesrepublik Deutschland verurteilt – diesmal wegen Collin – und im Juni aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen.[7]
Stefan Heym unterstützte in den Achtzigerjahren die Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Bereits 1982 sprach er sich für eine deutsche Wiedervereinigung unter sozialistischem Vorzeichen aus.
1987 wurde ein Interview von Heym mit dem Biologen Jakob Segal in der taz veröffentlicht, der die Verschwörungstheorie vertrat, HIV stamme aus einem US-amerikanischen Labor.
Heym hielt während der friedlichen Revolution im Herbst 1989 mehrere Reden während der Ost-Berliner Montagsdemonstrationen, auch bei der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989.
„Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen! Nach all’ den Jahren der Stagnation – der geistigen, wirtschaftlichen, politischen; – den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit. […] Einer schrieb mir – und der Mann hat recht: Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu erlernen!“
Ende November 1989 war er Mitinitiator und Unterzeichner des Aufrufes Für unser Land, in dem sich die Initiatoren gegen eine Wiedervereinigung bzw. eine Konföderation mit der Bundesrepublik Deutschland[13] und für den Erhalt einer eigenständigen DDR mit demokratischem Sozialismus[14] aussprachen. Heym stellte den Aufruf am 28. November 1989 auf einer Pressekonferenz vor 75 Journalisten vor.
Nach der Wende wurde Heym im November 1989 wieder in den Schriftstellerverband der DDR aufgenommen und 1990 juristisch rehabilitiert.
Nach der Wiedervereinigung
In den Jahren nach der Wiedervereinigung äußerte sich Heym sehr kritisch über die seiner Meinung nach bestehende Benachteiligung der Ostdeutschen im Verlauf ihrer Integration in die Bundesrepublik und bestand auf einer gerechten sozialistischen Alternative zum nunmehr gesamtdeutschen Kapitalismus. 1992 gehörte er in Berlin zu den Mitbegründern des Komitees für Gerechtigkeit. Er hoffte, dass sich daraus eine neue Partei gründen würde, denn „wenn alle anderen Parteien politisch bankrott seien, dann müsse eben eine neue geschaffen werden.“
Bei der Bundestagswahl 1994 kandidierte Heym als Parteiloser auf der offenen Liste der PDS und gewann ein Direktmandat im Wahlkreis Berlin-Mitte – Prenzlauer Berg. Als Alterspräsident hielt er am 10. November 1994 die Eröffnungsrede zum 13. Deutschen Bundestag,[18] bei der in einem viel diskutierten Traditionsbruch die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – mit Ausnahme der anschließend zur Bundestagspräsidentin wiedergewählten Rita Süssmuth – wegen kurz zuvor aufgekommener Vorwürfe der Zusammenarbeit mit der Stasi (die sich später als unbegründet erwiesen) den Schlussapplaus verweigerten.[19] Die Bundesregierung dokumentierte die Rede Heyms entgegen langjährigen Gepflogenheiten erst nachträglich auf Drängen insbesondere von Abgeordneten der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und einigen Abgeordneten der FDP am 27. März 1995 im Bulletin der Bundesregierung.
Im Oktober 1995 legte Heym sein Mandat aus Protest gegen eine geplante Verfassungsänderung im Zusammenhang mit der Erhöhung der Diäten für Bundestagsabgeordnete nieder. Er ist der drittälteste Abgeordnete, der jemals in einem deutschen Bundestag ein Mandat hatte. Im Jahre 1997 gehörte Heym zu den Unterzeichnern der Erfurter Erklärung, in der ein rot-grünes Bündnis unter Tolerierung durch die PDS nach der Bundestagswahl 1998 gefordert wurde.
Grab auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee
Heym starb am 16. Dezember 2001 am Toten Meer in Israel nach der Teilnahme an einem Heinrich-Heine-Symposium in Jerusalem. Zunächst hieß es, er sei an den Folgen eines Sturzes verstorben. Später wurde als Todesursache Herzversagen genannt.[22]
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Wir werden Dich nie vergessen.